Was Veränderungsprojekte und Flipper spielen gemeinsam haben

Von Gast-Blogger Bernd Ruffing, Managementberater & Prozessmaler.
Im folgenden Artikel will ich mal ein paar meiner Erfahrungen aus der Projekt- und Unternehmensrealität widergeben. Achtung: könnte ein wenig überspitzt und sarkastisch sein, ist aber viel Wahres dran!
Der Start
Bevor man losflippern kann, muss man erstmal Geld einwerfen. Genauso ist es in Projekten. Meist muss erstmal Budget her, bevor es richtig losgeht. Dies kommt in der Regel von den fachlichen Budgetverantwortlichen oder dem Management und damit den Leuten, die das Projekt initiiert haben und auch ein hohes Interesse an dem Erfolg des Projektes haben. So weit, so gut!
Der Startschuss
Geld ist drin, die erste Kugel wird freigegeben. Einmal ziehen, vielleicht ganz durchziehen, vielleicht auch nur bis zu einem gewissen Punkt, und los geht’s: Die Kugel nimmt Fahrt auf und rollt rasant Richtung Spielfeld. In Projekten ist das der so genannte Kick Off. Dort übernimmt der Projektleiter die Aufgabe, die Kugel ins Rollen zu bringen. Bei neuen Projekten ist die Begeisterung meist noch recht hoch; alle sind top-motiviert, alle ziehen an einem Strang, jeder will nur das Beste. Es geht rasant ins Projekt.
Die Kugel rollt
Die Sache beim Flippern ist die folgende: Die Kugel nimmt zwar rasant an Fahrt auf, aber eigentlich hat man keine – oder zumindest kaum – eine Ahnung, wo die nun landet und was dann passiert. Klar, je mehr Erfahrung man macht, also je öfters man Kugeln abschießt, desto wahrscheinlicher wird es, dass man die Laufbahn und Landepunkte der Kugel erahnen kann. Aber eben auch nur erahnen, denn auf dem Weg gibt es viele Faktoren, die nicht berechenbar sind. Trifft die Kugel dann auf die ersten Objekte, ist es eh aus mit einer gezielten Planung. Niemand weiß, oder kann vorhersagen, welchen Lauf die Silberkugel nehmen wird. Deswegen wird ein Flipperspieler niemals etwas anderes planen als einen einigermaßen gezielten Startschuss. Danach wartet er ab, was passiert.
Im Projektmanagement ist das ein wenig anders. Trotz des Einzugs agiler Methoden werden Projekte meist noch sehr klassisch nach der guten alten Wasserfallmethode geplant und gemangt. Soll heißen: Ich lege schon direkt beim Start genau fest, was wann wie und wo zu passieren hat. Ist eine Phase abgeschlossen (mit dem genau festgelegten Ergebnis), dann geht’s weiter mit der nächsten Phase. Und so weiter und so fort, über verschiedene Meilensteine, bis zu dem Projektende. Das ist also in etwa so, als würde man beim Flippern schon beim Startschuss genau planen, wo der Ball wann wie abprallt, welche Punkte erzielt werden (= Meilensteine), und wie die Reihenfolge dabei ist, bis der Ball irgendwann ins Aus geht.
Agieren und Reagieren
Der Flipperspieler wartet also erstmal ab, was passiert. Er weiß, dass die Kugel keinen berechenbaren Weg einschlägt, und ist jederzeit bereit, entsprechend zu handeln. Fliegt die Kugel zwischen den Trefferkontakten hin und her? Warum aufhalten, weiterlaufen lassen und die kleinen Erfolge schnell mitnehmen. Springt der Ball unerwartet Richtung einer der Flipperfinger? Schnell reagieren und die Kugel wieder ins Spiel bringen. Naht die Kugel dem Aus: auch im Notfall mal an dem Flippergerät zerren und schieben, um der Kugel die notwendige Wende zu geben.
Projekte in den Unternehmen sind sehr oft auf die ganz großen Ziele und Ergebnisse ausgerichtet. Man will quasi den Rekord am Flippergerät brechen, und dies möglichst schnell. Mit den kleinen Punktzahlen gibt man sich nicht zufrieden. Dabei sind es genau die kleinen Erfolge, die am Ende über die Gesamtpunktzahl entscheiden. Die den Projektmitarbeitern kleine Erfolge und auch Motivation verleihen. Stellen Sie sich vor, Sie flippern und sehen kein Punktekonto und das Ergebnis erst am Schluss, würde Ihnen da eine Rekordjagd wirklich Spaß machen?
Durch die langfristige Projektplanung nimmt man sich auch viele Möglichkeiten, schnell und flexibel zu handeln. In Wasserfall-Projekten bedeutet dies erheblichen Aufwand für Neuplanungen. Mal ganz abgesehen davon, dass man ja Fehler in der Planung zugeben müsste.
Die richtigen Treffer
Auch wenn jeder Treffer Punkte bringt, so weiß doch jeder Flipperspieler genau, wo die dicken Punktelieferanten sitzen. Darauf zielt er ab, diese versucht er so oft wie möglich zu treffen. Warum er das weiß? Er kennt den Flipper. Er sieht den Aufbau, kennt Fallen, Wege, Punkteanzahl einzelner Trefferkontakte. Wie ein Golfspieler, der bei jedem Putten genau den Rasen nach Unebenheiten und Verlauf prüft, und dazu noch die Windrichtung und -geschwindigkeit prüft. Für den Flipperspieler ist das Spiel absolut transparent.
Prozesstransparenz und Ägilität
Projekte in den Unternehmen, vor allem wenn es um Veränderungen der Prozesse geht, starten meist, ohne diese Transparenz zu haben. Es wird viel „vermutet“ und „gemeint“, dazu wird die eigene Erfahrung oft maßlos überschätzt. Projektleiter und Team begeben sich auf ein unbekanntes Terrain, welches sie nicht kennen, und auch nicht beherrschen können. Ein häufiger Grund für das Scheitern von Projekten ist, dass der Aufwand zur Analyse von Ist-Situationen gar nicht gemacht werden oder nicht eingeplant werden, nachträglich aber gemacht werden müssen und so Zeiten und Budget belasten. Hier zeigt sich oft, dass Projekte alleine loslaufen anstatt Hand in Hand mit dem Geschäftsprozessmanagement zu gehen, welches für die notwendige Transparenz und eine fundierte Basis für Projekt sorgen kann.
Kugel aus – die nächste Kugel bitte
Ja, irgendwann ist es halt so weit, die erste Kugel rollt ins Aus. Für die meisten Flipperspiele kein großer Grund zur Sorge, denn man hat ja meist mehrere Kugeln mit dem Geld verkauft. Also, nächster Ball abschießen, und auf ein Neues.
So viel Glück haben Projektleiter meist nicht. Ist das Budget aufgebraucht, gibt es meist keinen großen Spielraum mehr, um das Projekt wirklich sinnvoll am Leben zu erhalten. Das Projekt stirbt oder man lebt mit den bis dato erzielten Ergebnissen. Da ist keiner wirklich zufrieden.
Fazit
Unternehmen sollten bei Ihren Projekten etwas mehr flippern. Das richtige Startkapital ist notwendig, auch, um einmal Rückschläge zu bewältigen. Dazu gehört eine große Portion Agilität, um schnelle sichtbare Ergebnisse zu erhalten, die das Projektteam motivieren und zum großen Ganzen führen. Man sollte auch einfach mal starten, ohne schon den Großteil des Budgets in eine Planung zu stecken, die dann doch nicht funktioniert. Zu guter Letzt: ohne Geschäftsprozesse, die notwendige Transparenz und ein ordentliches Fundament werden Projekte immer Schwierigkeiten haben, die gesetzten Ziele in Time, Budget & Quality zu erreichen.